Jochen Stolla

alle Blogartikel

Chat und Empörung

02.02.2021

Ein Messenger kann Unterricht effektiv unterstützen. Ich habe hier und da darauf hingewiesen, und in diesem Wintersemester mache ich selbst wieder intensiv die Erfahrung. In zwei Seminaren nutze ich aktuell Chats als wesentliches Element der Lehre und der Zusammenarbeit.

Auch als ich voriges Frühjahr mit Kolleg*innen der VHS Möglichkeiten besprochen habe, digitale Erwachsenenbildung zu gestalten, ging es neben anderem um Messenger. Mein Anliegen war es da, zu vermitteln: Lernprozesse in der Digitalität zu gestalten ist mehr, als wöchentliche Kurstermine vom VHS-Seminarraum in eine Videokonferenz zu verlagern. Eingeübte, im Alltag verankerte Kommunikationskanäle können das Sozialgefüge und die Kollaboration in der Lehr-Lern-Gruppe fördern.

Was bei einigen dabei angekommen ist: Ich würde Kursleiter*innen Whatsapp empfehlen. Gewissermaßen als Lernplattform. Dabei wisse doch jeder, dass das gar nicht gehe – Datenschutz.

Da ist die Botschaft vielleicht im Schwange der Empörung etwas, sagen wir, eindimensional angekommen. Deshalb nochmal langsam: Ja, Whatsapp kann digitalen Unterricht unterstützen. Das heißt aber lange nicht, dass Lehrende nun eigens zu diesem Zweck Kontakte austauschen und Gruppen gründen sollten, keineswegs. Es ist indes eine Realität, dass nicht wenige Kursgruppen untereinander und mit ihren Dozent*innen seit eh und je ganz arglos über Whatsapp verbunden sind. Dies vorausgesetzt und unter der Bedingung, dass es für alle Beteiligten in Ordnung ist, kann Whatsapp auch für Lernen und Kollaborieren mit Gewinn genutzt werden.

Gleichwohl sollte niemand übersehen: Die Datenschutzprobleme, die Whatsapp verursacht, sind keine Kleinigkeiten. Die niedersächsische Datenschutzbeauftragte nennt diese Hauptpunkte:

  1. Die Übermittlung der Kontakte aus dem Adressbuch des Nutzers an WhatsApp.
  2. Die Übermittlung von personenbezogenen Daten in die USA.
  3. Die Nutzung von personenbezogenen Daten durch WhatsApp.
  4. Die Übermittlung der Nutzerdaten an andere Unternehmen des Facebook-Konzerns

Wer Whatsapp nutzt, gibt also persönliche Daten von Menschen weiter, die dazu nicht eingewilligt haben. Seit Januar verlangt Whatsapp zudem von den Nutzenden, ihre Daten noch freigiebiger herauszugeben. Viele hat das wachgerüttelt, andere Messenger, allen voran Signal, finden massenhaften Zulauf.

Was folgt daraus? Gewiss ist es nur für wenige VHS-Dozent*innen eine realistische Option, nun einfach von Whatsapp zu einem anderen Messenger zu wechseln. Ein neues System zu installieren, zu verstehen, parallel zu anderen zu betreiben, das ist für viele alles andere als einfach. Nicht zuletzt sind VHS-Lernende erwachsene Menschen, die zu einem solchen Wechsel erst einmal freiwillig bereit sein müssen. Noch weniger realistisch ist zu diesem Zweck wohl ein Einstieg in die VHS-Cloud, deren Messengerfunktion zudem kaum an dedizierte Apps herankommt.

Wenn es machbar ist – umso besser. Hilfe etwa beim Umstieg zu Signal gibt Philippe Wampfler (der an anderer Stelle noch für pragmatischen Umgang mit Datenschutzfragen plädiert hat, heute aber Whatsapp als nicht mehr verwendbar betrachtet.)

Neben Signal gibt es weitere Alternativen. Ich nutze für meine Seminare Matrix. Eine differenzierte Übersicht über Datensicherheit und -schutzniveau der verschiedensten Systeme gibt Mike Kuketz.

Für kurze Kurse, für die die Installation eines neuen Systems nicht lohnt, hat Nele Hirsch hier Leapchat empfohlen.

Trotz allem dürften viele VHS-Lehrende wieder einmal in der Zwickmühle gefangen bleiben: Digitale Tools, die den Unterricht unterstützen könnten, sind häufig nur mit einem vereinbar – entweder mit dem Datenschutzgewissen oder mit der realistischen Chance, dass Teilnehmende damit arbeiten werden.