Jochen Stolla

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Hybrider Unterricht: die Zukunft der Volkshochschule?

06.08.2021 (aktualisiert 25.08.2021)

In jüngerer Zeit begegnet mir immer wieder die Idee von „hybridem Unterricht“ an Volkshochschulen. Michael Staudt, Leiter der VHS Kaiserslautern, sieht in ihm „die herausragende Lösung für die Zukunft“. Carsten Koehnen (VHS Hochtaunus) meint, hybrides Lernen sei „der Weg in eine relativ gesicherte Zukunft, weil es dem Bedarf nach Flexibilität und Ortsunabhängigkeit bei den Teilnehmenden entgegenkommt und trotzdem denen, die in Präsenz lernen wollen, genau das ermöglicht.“ (Taunuszeitung 12.07.2021) Beide Volkshochschulen haben beeindruckende Projekte Wirklichkeit werden lassen auf dem Weg zum Lernen in der digitalisierten Welt.

Ist hybrider Unterricht aber der Königsweg in die Zukunft der Volkshochschule? Bevor ich dazu ein paar Gedanken formuliere, sollte klar sein, was eigentlich mit „hybridem Unterricht“ gemeint ist. Der Begriff kann vieles bedeuten; hier soll er aber nur für Unterricht stehen, an dem zur selben Zeit Personen im Kursraum wie aus der Ferne teilnehmen. Dazu wird das Geschehen im Kursraum per Video zu den entfernten Teilnehmenden übertragen, die entfernten Personen können sich ihrerseits in den Unterricht einbringen – etwa per Chat, als Sprechende oder in der gemeinsamen Bearbeitung von Online-Dokumenten.

Um am Kurs teilzunehmen, ist damit nicht die Präsenz vor Ort erforderlich. Dies kommt Personen entgegen, die sich den Weg zum Kursort sparen wollen oder in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Wenn die Plätze im Raum begrenzt sind, können mehr Personen am Kurs teilnehmen – das ist gerade in Pandemiezeiten ein interessantes Potenzial. Dies wiederum hat, wie Michael Staudt in seinem Video herausstellt, auch wirtschaftliche Auswirkungen. Erzwungenermaßen kleinere Lerngruppen führen zu höheren Kursgebühren; wenn aber durch hybride Technik mehr Personen teilnehmen können, bleiben die Kurse trotz Coronabeschränkungen erschwinglich.

Hybride Umgebungen einzurichten bedeutet beträchtliche Investitionen für die VHS. Zunächst ist Technik anzuschaffen: eine Kamera, die die Lehrperson verfolgt oder den Fokus auf die Person aus der Lerngruppe richtet, die gerade spricht. Ein Audiosystem ist nötig und eine im Raum und in der Ferne gemeinsam genutzte Projektionsfläche – etwa ein großes interaktives Display. Michael Staudt hat das in seinem Video umrissen, eine sehr gelungene technische Erklärung, wie das Setting am KIT aussieht, gibt Andreas Sexauer.

Mit der Anschaffung des Equipments ist es indes nicht getan. Lehrende müssen geschult werden, damit sie mit der Technik souverän umgehen können. Schon in einfachen Videokonferenzen hakt immer wieder einmal die Technik. In komplexeren Systemen ist noch mehr Wissen, Routine und Gelassenheit erforderlich, um mit solchen technischen Unvorhersehbarkeiten umgehen zu können. Neben einer gründlichen Schulung der Lehrenden wird begleitender Support nötig sein. Und auch für die Wartung des Equipments werden Folgekosten entstehen.

Die Schulung der Lehrenden darf sich dabei nicht auf die Bedienung der Technik beschränken. Um präsente und entfernte Teilnehmende gleichermaßen in den Unterricht einzubeziehen, bedarf es durchdachter Unterrichtsmethoden.

Gleichwohl bleibt der Unterricht in einer hybriden Umgebung methodisch beschränkt. Die Annahme, man müsse nur die richtigen Methoden einsetzen, dann wäre hybrider Unterricht dem Präsenzkurs gleichwertig, scheint mir illusorisch.

Beide mediale Umgebungen, die physische Präsenz und die Online-Teilnahme, bringen je eigene Chancen und Beschränkungen mit sich. Im Raum kann ich subtile Signale anders – vielleicht besser – wahrnehmen und auf sie reagieren. Ich kann physische Ortswechsel produktiv einsetzen. Dagegen habe ich beim Arbeiten am Computer Onlineressourcen schnell bei der Hand und kann sie einsetzen für kollaboratives Arbeiten an gemeinsamen Dokumenten – die Kommunikation mit der Lerngruppe und das Erarbeiten von Lernprodukten finden über dasselbe System statt.

Besonders gravierend scheint mir: Eine gemischte Präsenz- und Online-Gruppe lässt sich weit weniger flexibel in Kleingruppen und Partnerschaften aufteilen. Die Gefahr besteht dann, dass der Unterricht auf die Lehrperson fixiert bleibt. Hybrides Lernen begünstigt damit frontale Unterrichtsmethoden. Diese Kritik formuliert auch Philippe Wampfler, der in einem Video Hybridunterricht in Schulen während der Coronakrise reflektiert. Hybrider Unterricht, so meint Wampfler, bleibt für die Lernenden und die Lehrenden meist unbefriedigend.

Um Kurse weiterzuführen, die wegen der Coronabeschränkungen Einschränkungen unterliegen, dafür mag hybrider Unterricht eine Zwischenlösung sein. Gemessen am Anspruch der Volkshochschulen, zukunftsfähige Erwachsenenbildung im digitalen Zeitalter anzubieten, ist hybrider Unterricht indes mit Fragezeichen zu versehen.

Das Gesagte gilt vor allem für klassische Kursformate. Für Kurse, in denen mittelgroße Gruppen gemeinsam lernen und sich Wissen aneigen, zum Beispiel eine Fremdsprache. Bei Kreativ- oder Gesundheitskursen sind die Anforderungen andere. In Gesundheitskursen, bei denen die Bewegung nach Anleitung im Vordergrund steht, mag etwa die Interaktion zwischen den Teilnehmenden geringere Bedeutung haben. Die VHS Hildesheim hat ihr Angebot in diesem Bereich ausgebaut.

Ein anderes Format, das an Volkshochschulen traditionell seinen festen Platz hat, mag sich besonders anbieten für hybride Anordnungen: der gute alte Vortrag mit Diskussion. Die frontale Vermittlung von Wissen mag aus didaktischer Sicht fragwürdig sein. Vorträge sind als Format gleichwohl fester Teil der VHS-Kultur, und sie finden ihr Publikum. Gerade ihre methodisch-didaktische Genügsamkeit prädestiniert Vorträge dafür, sie als plausible Hybridveranstaltungen durchzuführen.

Hybride Angebote sind ein Baustein in der Digitalisierung des VHS-Angebots. Gerade für Kurse, in denen anders als frontal Wissen vermittelt wird, sind sie aber nicht die einzige Option. Für Menschen, die in Gruppen sich aktiv, selbstgesteuert und kollaborativ mit anderen neue Kompetenzen erarbeiten wollen, sollten Volkshochschulen über den „hybriden Unterricht“ hinausdenken.