Jochen Stolla

alle Blogartikel

Ein Blog als Lehrprojekt

Ein Erfahrungsbericht

26.08.2020

Mit Lernenden gemeinsam einen Blog auf die Beine zu stellen – das ist keine ganz neue Idee in der E-Learning-Szene. Zudem eine bestechende Idee mit mehrfachen Vorzügen: Der Lernprozess steht im Kontext einer Projektarbeit und das Schreiben der Blogbeiträge kann verschiedene didaktische Funktionen erfüllen. Es trainiert zum Beispiel die schriftliche Ausdrucksfähigkeit, das adressatenzentrierte Schreiben, kann zur Sicherung und Dokumentation von Lernergebnissen beitragen und transportiert nebenbei Wissen über Technik, Kommunikation und Kultur des Internets.

Ich hatte so etwas trotzdem bisher nicht in Angriff genommen. Vielleicht, weil es doch – organisatorisch und technisch – aufwendig ist, das Schreiben eines Blogs als eine Methode von mehreren in ein Seminar zu integrieren. Und weil das, was einen echten Blog interessant macht, im Rahmen eines Seminars kaum zu erreichen ist: regelmäßig über einen langen Zeitraum Content zu liefern, den Leserinnen und Lesern authentisch etwas zu sagen zu haben und das ganze sprachlich ansprechend zu vermitteln.

Nun hat mich Corona dazu veranlasst, es doch zu tun. Seit Ende Juni 2020 ist der Werktextblog online. Und versetzt mich tatsächlich in eine Art Enthusiasmus. Der Werktextblog setzt ein Schreibprojekt fort, das ich schon seit mehreren Jahren am Institut für Musikwissenschaft der Goethe-Universität leite. Die Grundgedanken dieses bereits traditionellen Studienangebots sind hier nachzulesen.

Im Sommersemester 2020 konnte das Projekt nicht in der bewährten Form weitergeführt werden. Die Studierenden haben bisher Texte für Konzert-Programmhefte verfasst. Ab März 2020 gab es aber vorerst keine Konzerte mehr. Das Projekt konnte dennoch weiterlaufen, die Fördergelder standen zur Verfügung, ein Dutzend Studierende hatten sich für das Sommersemester angemeldet. Die Studierenden und ich haben uns daraufhin darauf verständigt, in diesem Semester nicht für Print, sondern für das Netz zu schreiben.

Unsere Förderinstitution war aufgeschlossen, die Gelder umzuwidmen, und ich richtete eine Website ein. (Ähnlichkeiten zu meiner privaten Website will ich nicht bestreiten: Ich wählte das mir bereits etwas vertraute Pico-CMS und ein ähnliches Design – ich mag es schlicht.) Wir verständigten uns auf eine gemeinsame Grundlage darüber, wie Texte für einen Blog geschrieben sein sollen. (Meine Gedanken dazu habe ich in einem Video für die Teilnehmenden später noch einmal zusammengefasst.)

Für mich sind mehrere Aspekte des Projekts spannend. Die Beschäftigung mit den besonderen Bedingungen des Schreiben für das Internet, die Frage, wie man Leser/-innen findet, die Freiheit und zugleich der hohe Anspruch an die Texte, und die technische Realisierung eines Blogs.

Am inspirierendsten ist aber die unglaubliche Motivation, mit der die Autorinnen und Autoren mitarbeiten und sich mit dem Projekt identifizieren. Bis ein Text online publiziert ist, haben die Autor/-innen gründlich recherchiert und ihre Texte intensiv (über Online-Kanäle) diskutiert, sowohl mit Kommiliton/-innen als auch mit mir, und immer wieder überarbeitet. Mir ist bewusst, dass ich dazu von den Studierenden beträchtliche Beharrlichkeit, intrinsische Motivation und wahrscheinlich auch Frustrationstoleranz verlange. Trotz allem erlebe ich hohes Engagement bei den Studierenden. Es entsteht ein interessanter Text nach dem anderen, und ich erlebe eine höchst angenehme, konstruktive Arbeitsatmosphäre.

Wie lässt sich diese Erfahrung übertragen? Welche Schlüsse kann jemand daraus ziehen, der selbst über ein Blogprojekt mit Lernenden nachdenkt? Welche Faktoren tragen dazu bei, dass ein solches Projekt erfolgreich wird?

Für mein eigenes Projekt kann ich sagen: Zuallererst sind es die Autorinnen und Autoren, die das Projekt tragen.

Zum anderen scheint günstig, dass der Blog nicht Mittel zum Zweck ist. Mit dem Schreiben des Blogs sollen nicht in erster Linie andere Ziele erreicht werden, etwa das Sichern von Lerninhalten oder der Nachweis einer Leistung. Das Ziel im Projekt „Werktextblog“ ist es, zu lernen, einen Blog zu schreiben.

Und was geschrieben wird, kommt authentisch von den Autor/-innen. Sie haben etwas zu sagen, und sie teilen ihren Leser/-innen Dinge mit, die ihnen selbst wichtig sind. Zu Beginn des Projekts haben wir uns darauf verständigt, dass jede Autorin und jeder Autor über ein Lieblingsstück schreibt, eine Musik, die ihr oder ihm am Herzen liegt. Dies hat sich aus meiner heutigen Sicht als eine gute Richtungsentscheidung erwiesen. Wahrscheinlich trägt sie zur Motivation aller Beteiligten bei, gewiss zur Qualität der Texte.

Ich wünsche mir, dass der Werktextblog auf lange Sicht mehr und mehr Leser/-innen findet. Er ist es wert, gelesen zu werden!